Konstruktivismus

1 oder 0 – Richtig oder falsch! Das sind die Operationen und logische Struktur, die ein aktueller Computer braucht um zu funktionieren. Diese reichen aus für die gesamte Funktionalität, die er aufweist – von Videospielen bis hin zur KI. Und diese Computertechnologie spiegelt eine Form der menschlichen Denkweise wieder. Denn jedes mal wenn wir uns fragen, wer recht hat, steht im Hintergrund die Überzeugung, dass es nur eine richtige Antwort geben kann. Es gibt eine Welt, die es für uns zu Erkennen gilt und wer es schafft genauere Prognosen zu erstellen, erkennt sie „richtiger“. 

Unsere moderne evidenzbasierte Wissenschaft fußt auf diesen Denkmodell, besondern die „harten“ Naturwissenschaften. Diese Annahme ist erstmal sehr eingängig und angenehm, da es die Aufgabe des Erkennens und sich selbst verbesserns erleichtert. Denn wenn man einen wissenschaftlichen Fakt hat, braucht man sich über andere Behauptungen keine Gedanken machen, da diese offensichtlich falsch sind. Das spart mentale Energie, auch wenn es emotional aufreibend sein kann mit Menschen zu diskutieren, die offenbar nicht den selben Informationsstatus haben, als man selbst.

Das Problem an der Geschichte ist, dass die Annahme wir könnten die Welt erkennen wie sie ist, unhaltbar ist. Wir können sie nur über unsere Sinne wahrnehmen und mit der Interpretation unseres Gehirns arbeiten. Gewusst hat das manch einer schon vor tausenden vor Jahren („Das aussprechbare Dao ist nicht das ewige Dao“ – Meister Lao). In der Philosophie Geschichte hat sich diese Problematik spätestens im 17. Jahrhundert mit Kant durchgesetzt und selbst in der Physik kam die Erkenntnis spätestens mit dem aufkommen der Quantenphysik. Ohne nun zu tief in einer dieser Bereiche abzutauchen (ich empfehle jeden dies auf eigene Faust zu tun), ist eine Erkenntnis unumgänglich und zwar kann 1 auch 0 sein. Etwas kann gleichzeit richtig und falsch sein. 

Die Konsequenzen sind weitreichend. So ist klassische Annahme der Kausalität, dass jede Wirkung eine Ursache hat, ebenfalls unzureichend. Der Mensch unterstellt und erzeugt Kausalität. Eine Wirkung kann unendlich viele Ursachen haben. Die Wirkung selbst erzeugt die Ursache. Ein alternatives Konzept, dass der zirkulären Kausalität ermöglicht mehrere und damit genauerer Beschreibungen der Welt. Das heißt, wie wir die Welt sehen beinflusst, wie wir die Welt sehen. Wir erzeugen Wirklichkeit und Wahrheit und erkennen sie nicht. Der Beobachter erzeugt das Beobachtete. Darüber hinaus sind wir nur in der Lage über unsere Konstruktionen zu sprechen. Alle Weltansichten sind daher individuell und gleichwertig. Das heißt nicht, dass wir allem zustimmen müssen, nur das unsere Weltsicht sich unterscheidet und alle Beteiligten gleichermaßen richtig und falsch liegen. 

Ist man von Beruf Wahrheitssucher oder „Besitzer“ ist das natürlich ein harter Schlag. In diesem Fall wird dieser Artikel dir wahrscheinlich weniger zusagen, da es für diese Wirklichkeitskonstruktion stimmiger ist, diesen Blogeintrag als quatsch zu bezeichnen (was vollkommmen sinnvoll ist, da es den Wahrheitssucher sonst den Sinn rauben würde).

Für alle anderen, die die Frage belastet, was nun der richtige Weg ist – denen kann diese Information sehr nützlich sein. Denn im Endeffekt entscheidet jeder selbst, welcher „Weg“ führ ihn der Richtige ist. Jeder entscheidet selbst, was er glaubt oder nicht (auch wenn das einem nicht immer bewusst ist).

Ist man befreit von der Notwendigkeit „richtig“ zu handeln, so kann man seine Aufmerksamkeit darauf lenken, was gerade passiert und wie man darauf reagiert. Man kann sich frei Verhalten und ist in der Lage sich für die Wirklichkeiten andersdenkender Menschen zu interessieren. Man kann experimentieren und beobachten was passiert, wenn man ungewöhnlich agiert. Die Welt der Möglichkeit erweitert sich enorm, sowie die innere Haltung gegenüber anderen Wirklichkeitskonstruktionen. 

Im Bezug zum Training und Coaching möchte ich daher klarstellen, dass auch bei klassisch instruktivem Training eigentlich nichts beigebracht wird. Es kann nur entfacht werden, was schon vorhanden ist. Bei einem erfolgreichen Training kann man sich also besten Gewissens selbst danken. Es ist unvorhersehbar, was das Training einem bringen wird, weshalb ich kein Freund vom zielorientiertem Training bin. Allerdings können Ziele spannende Problemstellungen erzeugen. Im Fokus steht für mich daher, was sich aus einem Trainingsprozess entwickelt. Vielleicht erreicht man seine Ziele, vielleicht ändern sich die Ziele oder man erreicht sie nicht. Vielleicht erzeugt ein Wechsel der Ziele auch mehr Freude beim Training?! In jedem Falle hat man was gelernt und im optimalen Falle hat man das Training genossen.